|
Annemarie Kury Wien, 29. April 1995
Liebe Freunde, liebe große Familie der Helfer!
Nach unserer Karwochenfahrt nach Vinkovci/ Kroatien sammelten sich wieder Geld, Medikamente, Nahrungsmittel und Kleidung bei mir, und es drängte mich, die Hilfsgüter so schnell wie möglich (vor Ende des xten Waffenstillstands am 30. April) ins Krisengebiet zu bringen.
Am Ostermontag ,17. April 1995, montierte ich wieder meinen Beifahrersitz aus und packte mein Auto voll. Dienstag, 18. Apr. Früh war ich noch auf der Bank und füllte auch dort meine Taschen und fuhr nach Zagreb. Nächtigung bei Zita.
19. April über Karlovac- Senj- die Küstenstraße – Zadar- Split – Stobrec (kurzer Besuch in den Flüchtlingsbaracken, wo ich bei meiner Fahrt im Dezember übernachtete) bis in die Gegend von Makarska. Dort ist ein UNO Camp und ich traf mich mit „unserem“ Liäsionsoffizier Shujaat, zu dem wir (die Kury Familie) eine innige Beziehung haben. Er begleitete unsere Expedition 1980 im pakistanischen Karakorum. Jetzt ist er im Einsatz bei der UNO. Es war ein wunderschöner Abend mit Sonnenuntergang am Meer – mit alten Erinnerungen, mit Gegenwarts - und Zukunftsgesprächen und mit Instruktionen für meine Weiterfahrt samt Spezialstraßenkarte.
20. April Weiterfahrt über die kroatisch- bosnische Grenzstation Metkovic weiter nach Mostar. Dort musste ich leider zur Zollkontrolle um viele Papiere auszufüllen. Auf Grund meiner Papiere von der Caritas und der eigenen Autopapiere wurde ich für eine „catholica kapitalista“ gehalten. Mein Akt wurde immer wieder beiseite gelegt. Ich hatte daher drei Stunden Zeit um über die katholische Kapitalistin nachzudenken: Ja, ich bin katholisch und im Vergleich zu den Menschen hier, habe ich auch Kapital. Was immer auch Kapital heißt (Lexikon: „…Kapital entsteht durch Konsumverzicht –sparen- und produktive Verwendung der gesparten Mittel…kann als Fremdfinanzierung zur Verfügung gestellt werden – humanitäre Hilfe“ ). Meine, doch etwas einsame Fahrt kann weitergehen nach Mittelbosnien, über Jablanica – Prozor – G. Vakuf nach Bugojno. Die Straßen sind schlecht, bergauf bis 1300 m, auf den Bergen glitzert der Schnee im Abendlicht. Ich denke an die Firnhänge und versuche meinen Slalom zwischen tiefen Löchern auf der Straße zu fahren (das Tor habe ich wieder gut erwischt, es geht ja nur ums Durchkommen und nicht um die Sekunden).
Vor Bugojno ist wieder Kontrolle(die wievielte??) und meine Papiere(ausländisches Auto) müssen genau händisch abgeschrieben werden. Die Hände vom Kontrollmann sind zu kurz, ich gebe ihm meine Reservebrille, da geht es gleich schneller. Es gibt hier jetzt keine Brillen. Er ruft die Polizei, die mich nach Bugojno zum Zoll eskortiert. Ein großes Eisentor geht auf, wir fahren in einen eingezäunten Platz, ich soll hier warten, die Polizei verabschiedet sich, das große Eisentor wird wieder verschlossen. Es ist 17 Uhr und ich bin mehr als 10 Stunden unterwegs. Vom Bewacher erfahre ich, dass der Zoll morgen um 8 Uhr früh wieder arbeitet und dass ich bis dahin nur ruhig warten soll. Auf dem Areal ist eine Ziege mit ihren zwei Jungen ( ob ich in der Nacht ein bisschen Milch von der Ziege bekomme?), ich spiele mit ihnen und freunde mich an- später auch mit dem Bewacher. Schließlich verständigt er auf meine Bitte das dortige Franziskanerkloster. Es kommt Schwester Ankica, sie spricht auch deutsch und geht zur Polizei, holt den Zollbeamten aus seiner Wohnung, der schreibt irgend eine Bestätigung und wir können heraus, die Ziegen meckern uns nach.
Im Kloster genieße ich die bosnische Gastfreundschaft. Ich kann die neue Ambulanz mit Apotheke im Kloster sehen, für das Labor fehlt allerdings noch das Meiste. Bugojno hatte vor dem Krieg ca 19.000 Muslime, ca 16.000 Kroaten und ca 9.000 Serben. Jetzt sind ca 50.000 Muslime (meist Flüchtlinge) und nur 1.1oo Kroaten und ca 300 Serben hier. In der Stadt habe ich kein unbeschädigtes Haus gesehen; die meisten sind ganz zerschossen-kaputt. Eine Ruinenstadt mit vielen Menschen in tiefster Not. Nach Bugojno wollte ich um Zeljana zu suchen; sie ist ohne Eltern bei Großeltern aufgewachsen, Kroatin mit einem Muslimen verheiratet, sie hat ein 21 Monate altes Kind, das während eines Feuergefechtes geboren wurde. Ich suche sie mit Sr. Ankica in der lava rodica Straße, dort hat am Nachmittag eine Granate eingeschlagen- Zeljana ist seit zwei Tagen weg; sie ist im ehemaligen Büro der Busstation .Wir finden sie auch dort in einem desolaten Haus. Schwester Ankica meint so ein Elendsquartier hat sie noch nicht gesehen. Immer wieder muss sich Zeljana mit der Kleinen einen neuen Unterschlupf suchen. Sie ist eine von Vielen. Hier gibt es kein Wasser, kein WC, sie hat zwar einen alten Herd, den heizt sie mit gesammelten Heizbaren, kocht Erdäpfel und Bohnen, bäckt Brot, wenn sie irgend wo Naturalien bekommt und das schon seit zwei Jahren. Ihr Mann und dessen drei Brüder sind an der Front drei Kilometer entfernt; sie kommen an ihren seltenen freien Tagen mit großem Hunger. Ihr Mann und ein Bruder sind heute hier, die Gewehre stehen in der Ecke, am Tisch liegt die Munition, das Kind spielt am Boden. Zeljana erzählt mir, dass sie ihr Kind neben Verwundeten im Keller geboren hat und nach ein paar Tagen mit dem Neugeborenen zum Haus ihrer Großeltern ging. Das Haus, etwas außerhalb von Bugojno war zerstört und 37 Leichen lagen darin. Sie weiß nicht, ob sie, wenn das Haus aufgebaut werden würde, darin noch leben könnte. Nach 22 Uhr bringen mich Z. und ihr Mann im Finstern immer der Hausmauer entlang zum Kloster. Kaum bin ich im Bett, ein mir schon bekanntes Sausen (wie zu Silvester) – dann ein Krach …dann heult die Sirene – Sr. Ankica kommt zu mir ins Zimmer – ob ich mich fürchte? Erst wenn der Angriff ärger wird gehen wir in den Keller, meint sie. Ich bin nur mehr müde und schlafe schnell ein.
Freitag, 21. April: Um 7 Uhr früh Messe-ein Teil der Kirche ist Magazin für Betten, Nachtkastln, Nahrungsmittel, Medikamente, Kleidung etc. Ich gehe noch zu Zeljana- es ist alles in Ordnung, so geht’s für mich weiter über die Berge, nahe am serbisch besetzten Travnik vorbei- Zenica- Kakanj. Auf der Straße sind tiefe Löcher, an den Straßenrändern Schnee, Krokusse, Seidelbast und Himmelschlüssel. Mittag bin ich in Vares bei der UNO. Es sind Pakistani, ich bin avisiert und eingeladen das Hospital zu besichtigen. Als Friedenstruppe haben sich diese überlegt wie sie hier helfen können. Sie haben eine medizinische Station aufgebaut mit zwei Operationssälen, Röntgen, Labor, Apotheke, EKG etc. Sie betreuen sehr viele ambulante Patienten aus der Bevölkerung und haben 25 Betten. Ein Internist, zwei Chirurgen, zwei Anästhesisten, ein Gynäkologe, ein Laborarzt und zwei praktische Ärzte, alle vom pakistanischen Militär arbeiten hier mit den lokalen Ärzten zusammen. Sie fahren mit ihrer lokalen Ambulanz in die Dörfer und haben seit August 1994 mehr als 20.000 Patienten behandelt. 5000 Labortests, 1000 Röntgen und 2800 Operationen haben sie schon gemacht. In der Eingangshalle steht groß an der Wand: „AND WHEN I AM ILL, HE IS GOD, WHO CURSES ME “ (Koran) .Es erinnert mich an das Wort von Florenz Nightingale: „ Allein die Natur heilt….und die Krankenpflege (auch die Medizin) hat die Aufgabe den Patienten in die optimale Verfassung zu bringen, in der die Natur auf ihn einwirken kann…“
Der Kommandant, Col. Badar ist ein Schatz: nach einem pakistanischen Mittagessen wird mein Auto aufgetankt und ich werde mit einem UNO Fahrzeug in vier Stunden auf schlechten Wegen über die Berge sicher nach Tuzla gelotst. Nur einmal war ich ein bisschen im Graben.
Mein VW ist schon alt und hat 175.000 km .So bin ich immer wieder froh wenn er diese Wege noch schafft. Wir sind beide für unser Alter in guter Kondition und so aneinander gewöhnt.
In Tuzla suche ich einen Schlafplatz, die Rezeptionistin Mirsada nimmt mich zu sich nach Hause. Sie selbst und ihr Mann ziehen zu den Eltern.
Erst am nächsten Tag fahre ich zur Caritas und Merhamet (muslimische humanitäre Organisation) und teile die Spenden. Die Medikamente werden dringend im Frontspital gebraucht. Für die Hinfahrt brauche ich eine Bewilligung des Militärkommandos. Mit Unterstützung von Merhamet fahre ich zum Kommandanten, dort treffe ich einen „Höheren“ in Uniform, wir schauen uns an, wir kennen uns, er erkennt mich schneller – wir waren in der Sturmnacht 22./23. Dezember gemeinsam im Autobus von Tuzla nach Zagreb. Das verbindet und ich bekomme die Bewilligung zur Fahrt. In einem kleinem Ort (den Namen darf ich nicht nennen) ein Gasthaus, von der staubigen Straße geht eine Tür in den „Gastraum“ und das ist die „Intensivstation“ für die Frischoperierten. Eine Tür mit der Aufschrift Kuchina (Küche) führt in den „Operationssaal“, in einer Kammer daneben ist das Röntgen mit einem Röntgenapparat Baujahr 1948 ,die Filme sind Gott sei Dank neueren Datums. Im ganzen Haus gibt es kein Fenster mit Glas, nur Plastikfolien, Sandsäcke und Bretter. Zwei junge Ärzte machen Dienst, freuen sich sehr über die Medikamente und auch über den Besuch. Sie führen mich von Bett zu Bett, Männer und Frauen in eng beisammen gestellten Betten, alle frisch operiert: meist Granatsplitterverletzungen, aber auch eine Frau mit einer op. incarcerierten Herniae, eine junge Frau mit einem gangränösen Appendix, ein Mann mit einem Pneumothorax ( sein zerschossenes Auto steht vor dem Haus) . Im zweiten Bett ein junger Bursch mit trüben Augen, spitzer Nase, offenem Mund und nicht ansprechbar. Ich frage leise was ist? Der Arzt zuckt nur mit den Achseln. Sobald es möglich ist werden die Operierten in den nahe liegenden Häusern verteilt. Ein modernes Pavillonsystem?! Wir gehen von Haus zu Haus(Visite), ein alter Mann streut aus seiner blauen Schürze ein paar Samen auf ein ganz kleines Stück Feld. Dann sitzen wir bei Tee zusammen, die beiden Ärzte freuen sich über die „Außenwelt“ zu hören, sie zeigen mir das Protokollbuch mit allen Eintragungen, sind stolz, dass sie nach dem hippokratischen Eid handeln und hier alle gleich behandeln – selbstverständlich auch wenn die Verwundeten von der „anderen“ Seite gebracht werden.
Zehn Soldaten wurden in den letzten Tagen hier in nächster Nähe in den Bergen getötet, erst zwei konnten geborgen werden. Sie warten jetzt auf die anderen um sie in weißes Tuch zu wickeln und zu begraben. „ Wir brauchen jetzt viel weißes Leinentuch“ (bei uns würde man Särge brauchen). Vor drei Wochen hat eine Granate hier in eine Gruppe Soldaten eingeschlagen, es waren 30 Tote und 100 Verletzte. Die beiden Ärzte wünschen sich Fachliteratur .Sie bedauern, dass der Chef, ein emeritierter Neurochirurg, heute nicht da ist, sie sprechen mit großer Hochachtung von ihm. Die Ärzte und Sanitäter fragen mich natürlich aus, fragen nach meiner Diplombrosche, nach Wien, der Wiener medizinischen Schule, wir sprechen lange über Billroth, über Kongresse. Sie sitzen seit drei Jahren im Frontspital ohne Kontakt mit der medizinischen Welt. Der Abschied fällt mir schwer, noch ein Blick zum zweiten Bett und auf geht’s wieder zurück nach Tuzla.
Ich bin müde, traurig, ausgelaugt und einsam in meinem Zimmer und doch froh, dass zur Zeit keine Granaten hier fallen. Der Soldat im zweiten Bett fällt mir wieder ein und dazu das Lied das Ende des 30 jährigen Krieges aufgeschrieben wurde: „ In stiller Nacht zur ersten Wacht ein Stimm begunnt zu klagen, der nächtge Wind hat leis und lind zu mir den Klang getragen. Von herben Leid und Traurigkeit ist mir das Herz zerflossen, die Blümelein, mit Tränen rein hab ich sie all begossen…“
Sonntag 23. April 1995 Einige Briefe und Pakete sind noch nicht verteilt. Ein Bub wäscht mir mein Auto, so gehe ich einstweilen zur Messe zum Franziskanerkloster. Wieder das schon bekannte Sausen – die Detonation nicht weit von mir -als die Sirene heult bin ich schon in der Kirche. Prof. Dr. Franjo Topic aus Sarajevo feiert mit uns die Messe, ich verstehe die Worte nicht, aber ich horche auf sie und spüre tiefe Ergriffenheit um mich und in mir.
Nach dem Mittagessen bei den Schwestern und Brüdern und einer wirklich freundschaftlich – herzlichen Verabschiedung fahre ich noch zu drei Familien und bringe Briefe und Pakete von ihren Angehörigen in Wien. Ich bin beauftragt Fotos zu machen, vor allem von einem todkranken Angehörigen einer Flüchtlingsfamilie, die ihn nicht mehr sehen wird.
In Bosnien gibt es kein Geld. 90 % der Menschen leben hier nur von der humanitären Hilfe. Es gibt keine Post, keine öffentlichen Verkehrsmittel, keine Krankenkasse nichts. Mit D-Mark gibt es ein wenig zu kaufen. Die Soldaten sind meist sehr junge Burschen, sie bekommen vor dem Angriff Alkohol („das macht Mut!“) und nachher Zigaretten („ das beruhigt!“) Wer kann das ändern? Wie kann das geändert werden?
Abends fahre ich noch zum UNO –Camp Pak Bat 2 (Pakistanisches Batallion) in Durdevik bei Tuzla um den aktuellen Stand der Wege nach Vares zu erkunden. Es geht eine andere Route, wenn sich nicht noch über Nacht etwas ändert. Die Lage ist kritisch.
Montag 24. April 1995 Wieder allein auf einer anderen Route mit leerem Auto und leeren Taschen auf dem Weg nach Vares. Pause dort im UNO –Camp und bald weiter. Doch nach zwei Kilometern Straßensperre wegen Truppenverschiebungen. Die UNO holt mich zurück ins Camp und ich werde eingeladen hier zu bleiben, da „mein Shujaat“ heute Abend herkommt. Er wurde zum Brigadier befördert und das wird hier gefeiert. Ich möchte aber doch weiter, die Lage ist mir hier zu unsicher. Nach Aufhebung der Straßensperre, bepackt mit Obst und Sandwich fahre ich weiter. Davor kann ich noch über Sattelitentelefon mit Shujaat telefonieren, wir vereinbaren eine Pause beim Kreuzen unserer Fahrzeuge. Doch bald wieder STOPP es sind noch bosnische Truppen unterwegs. Die ganz müden Soldaten fragen nach Zigaretten und nach Essen. Ich kann ihnen meine Jause geben und frage ob ich sie fotografieren darf „ ja, ja darf alles!“ Ich mache eine Aufnahme und schon ist mein Auto umstellt von 4 Soldaten mit weißen Schulterriemen. Sie verlangen meinen Fotoapparat, ich einen Dolmetsch. Ich bleibe nachdem ich meine Papiere gezeigt habe im geschlossenen Auto sitzen und schau mir die Augen der einzelnen genau an. Da finde ich gute Augen und bekomme gefühlsmäßig Kontakt – mit dem und nur mit dem werde ich sprechen. Ich soll ins Militärpolizeiauto – aber ich darf doch eigentlich nicht aussteigen. Drei wollen in mein Auto Ich: „ Nein nur einer, 1:1 genügt, ich habe auch versprochen keine Waffe in meinem Auto zu führen, wenn einer einsteigt, bitte nur ohne Waffe “,das alles langsam mit Wörterbuch . Sie dürfen aber die Waffe nicht ablegen. Den mit den guten Augen bitte ich seine Waffe doch zu entladen, die Munition extra zu geben und sich, da ich keinen Beifahrersitz habe, nicht hinter mich sondern diagonal von mir zu setzen und die Waffe senkrecht zu halten. Es geht wirklich gut. Ich weiß unterdessen dass ich wegen Spionage (Verdacht?) verhaftet bin und zum Militärpolizeikommando fahren muss. Dort muss mein lieber Begleiter leider zurück, drei Neue verhören mich. Ich bitte immer wieder um einen Dolmetsch („ich verstehe nicht“), sie wollen meinen Autoschlüssel, ich bin dabei wie sie mein Auto und alle meine Sachen genau untersuchen, aber sie finden nichts.
Sie fragen immer wieder nach dem Fotoapparat. Wo ist er? Ich möchte zum UNO Kommandanten – das geht nicht, ich möchte einen Dolmetsch- das haben sie nicht. Ich soll wieder einsteigen und diesmal mit zwei Militärpolizisten weiter fahren. Ich hoffe zur UNO. - Leider nein… nur eine neue Stelle, wieder Neue …Dolmetsch wieder nicht, ich gebe ihnen die Telefonnummer von der UNO, denn die hat Dolmetscher…es sind schon mehr als drei Stunden vergangen….dann ruft doch endlich einer bei der UNO an (das wollte ich ja erreichen!) und verlangt einen Dolmetsch…ein Rückruf kommt - ich kann nach meinem Namen nur ja, ja, ja hören und werde gleich nach dem Gespräch gefragt, ob ich Kaffee oder Tee möchte. Ich möchte nur einen Dolmetsch…der kommt gleich … dann bitte Tee.
Bald kommt ein mir unbekannter UNO- Offizier mit Dolmetscherin und es läuft eine für mich faszinierende diplomatische Verhandlung, bei der ich nur Zuhörerin bin. Ich lerne viel. Auf den Vorschlag vom UNO-Offizier gehe ich gerne ein: Ich möge versprechen das eine Foto von den Soldaten, wenn es sich findet, an die UNO zu senden und sie gibt es an die Militärpolizei weiter. Mir geht es ja nur darum die Familienfotos nach Wien zu bringen. Erst beim Weggehen mit dem UNO-Offizier spüre ich, dass es doch für mich aufregend war und denke darüber nach, wie es den Verhafteten in aller Welt, ob in Krieg oder Frieden, gehen mag. Dieses Gefühl von rechtlos zu sein, die Sehnsucht nach Hilfe und Befreiung ist für mich wieder eine neue Erfahrung für die ich dankbar bin.
Wir fahren zum UNO-Camp, es ist 17 Uhr, zu spät um weiter zu fahren, so werde ich in Schutzhaft genommen- ich bleibe über Nacht.
„Mein Shujaat“ kommt auch, abends wird seine Ernennung zum General gefeiert und ich bin mit eingeladen. Den jungen pakistanischen Offizieren wird von meinen Fahrten erzählt, es ist
für sie außergewöhnlich, dass eine 63 jährige Frau allein solche Reisen unternimmt, es ist die 87zigste Fahrt mit humanitärer Hilfe. Mir ist diese Anerkennung eher peinlich, aber verwöhnen lass ich mich heute gern.
Beim festlichen pakistanischen Abendessen kann ich mit Shujaat Tschapati (Fladenbrot) teilen, wie wir es bei unserer Expedition im Karakorum täglich taten. Viele dieser hier stationierten Soldaten waren am SIA-CHEN (dem Rosengletscher in dem mein Mann steckt) eingesetzt, so haben wir viel gemeinsamen Gesprächsstoff. Ich bekam sogar das Battaillonsgeschenk mit dem Sia – chen! Diesen schönen Abend hätte ich ohne Verhaftung nicht gehabt.
25. April Letztes Tschapati –Teilen, letzter pakistanischer Tee beim Frühstück . Ich nehme den Film aus der Kamera(sie war die ganze Zeit in meiner Schürzentasche), es drängt mich den Apparat als Andenken und aus Dankbarkeit dort zu lassen. Wehmütige Verabschiedung, (Shujaat würde mir gern seinen Helm und seine kugelsichere Weste geben, darf es aber nicht und ich hätte es auch nicht von ihm genommen- er ist jung und hat Familie!).Einige Kilometer habe ich noch Eskorte, dann geht’s allein weiter auf schlechtem Weg bei Regen. Immer wieder steigen Autostopper ein und aus. Als ich eine kurze Zeit ohne Stopper bin, bleibe ich stehen und steige aus. Als ich fertig bin, ist Militärpolizei da. Was ich mache, ob ich fotografiert habe, hier dürfen nur Soldaten stehen bleiben, “nein ich habe nicht fotografiert, ich habe keinen Fotoapparat, ja ich verstehe, aber nicht nur Soldaten trinken in der Früh viel Kaffee oder Tee, ich habe auch viel getrunken und darum der STOPP.
Sie verstehen, schmunzeln, sagen pardon und ich kann weiterfahren.
In der Nähe von Sarajevo stoppt ein Soldat, er kommt von der „ Hölle“ und hat drei Tage frei. Er ist fiebrig, ich gebe ihm meinen Tee und Keks (jeder von uns hätte bei seinem Anblick das Letzte gegeben).
Er schläft gleich ein. Kontrollpunkt: Militär darf jetzt nicht in (ausländischen?) Zivilautos mitfahren. Ich kann der Kontrolle erklären, dass es für mich Gebot ist, Kranke mitzunehmen. Der Soldat ist krank. Die bedanken sich und der Soldat darf mit mir weiter fahren. Ab da sind alle meine Autostopper Kranke.
Um ca 18 Uhr, nach zehn Stunden, bin ich in einem kleinen Ort unweit von Sibenik und finde ein Privatzimmer bei einer Witwe. Sie macht mir sogar noch eine Suppe und ich schlafe zehn Stunden.
Am 26. April wache ich mit Kopfschmerzen auf- das werden die Höhen- und Klimaunterschiede sein: 1600 m in den Bergen und jetzt auf Meereshöhe; 27 Grad in Tuzla, 5 Grad in Vares, und jetzt? Oder schmerzt mich der Unterschied: Armut – Reichtum? Katolicka – Kapitalista?
Ein schwarzes Wolltuch hat sich im Auto unter meinem Schlafsack versteckt. Ärgerlich, dass ich es nicht in Bosnien verschenkt habe. Ich fahre die Küsterstraße bis Senj, dann geht’s wieder steil bergauf in die Berge. Eine Frau steigt bei mir zu, wir sind nahe an der Krajna-Frontlinie. Die Frau erzählt von einem erschossenen Familienmitglied, dort will sie hin, irgendwo oben am Berg. 1200 m schlängeln wir uns mit dem Auto hinauf. Die Frau will aussteigen, es ist sehr kalt hier, so hänge ich ihr das schwarze Wolltuch um. Sie nimmt ein Heiligenbild aus ihrem Gebetbuch und schreibt weinend ihre Adresse darauf. Auch hier in der Krajna merkt man die kriegerischen Auseinandersetzungen.
Karlovac –Zagreb und am 27. April (noch drei Tage vor Ende des so genannten Waffenstillstands ) bin ich in Wien.
Zehn Tage - 3000 km – viel Leid und Not.
Ich singe wieder – noch sind es Nachtgesänge.
Mitgebracht habe ich viele, viele herzliche Umarmungen, die ich an alle als Dank verteilen möchte.
Nehmt sie bitte an!
Eure /Ihre / Deine Annemarie Kury
|